Über die Angaben eines Anlageprospektes hinausgehende Pflichten einer Bank bei der Kapitalanlageberatung

LG Hamburg, Urteil vom 15.12.2008 – 318 O 4/08

Über die Angaben eines Anlageprospektes hinausgehende Pflichten einer Bank bei der Kapitalanlageberatung

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger zur gesamten Hand Euro 12.249,61 nebst Zinsen in Höhe von 4 % p.a. vom 17.05.2007 bis zum 31.12.2007 auf Euro 34.965,00 und vom 01.01.2008 bis 06.02.2008 auf Euro 12,249,61 und ab dem 07.02.2008 in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf Euro 12.249,61 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger 12 % und die Beklagte 88 % zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Kläger begehren die Zahlung von Schadensersatz wegen Pflichtverletzung im Zusammenhang mit einer Kapitalanlage von der Beklagten.

Die Kläger sind langjährige Kunden bei der Beklagten. Sie hatten ihr Vermögen in dit-Geldmarktfonds angelegt. Anfang Mai 2007 wurde der Kläger zu 2) bei einem Besuch in der Filiale der Beklagten in L. von der Filialleiterin, der Zeugin F. (inzwischen nach Heirat: Zeugin P.), auf eine alternative Anlagenmöglichkeit angesprochen. Darauf kam es zu einem Beratungsgespräch am 07.05.2008 über das „D. Alpha Express Zertifikat II“. Bei diesem Zertifikat handelte es sich um eine Anlage mit einer Laufzeit von bis zu 4 Jahren und 2 Monaten, bei der der Anleger auf eine positivere Entwicklung der im Index „.. Euro Stoxx Selected Dividend 30“ notierten Dividendenwerte zum DAX 30 spekulierte. Der Anleger riskierte bei dieser Anlage den teilweisen oder völligen Verlust seines Kapitals, wenn der „.. Euro Stoxx Selected Dividend 30“ zum Laufzeitende in seiner Wertentwicklung um 40 Prozentpunkte oder mehr hinter dem DAX 30 zurückblieb, konnte andererseits aber bei günstigem Verlauf bereits nach einem Jahr eine Verzinsung von 16,75 % oder mehr erlangen. Die Kläger, vertreten durch den Kläger zu 2), entschieden sich am Ende des Beratungsgesprächs für das Zertifikat, erteilten Kauforder und erhielten die schriftliche Beschreibung des Zertifikats (Anl. K 1) überreicht. Mit Schreiben vom 15.05.2007 (Anl. K 2) rechnete die Beklagte über den Kauf von Zertifikaten im Nennwert von Euro 34.965,- ab. Der Kurs belief sich auf Euro 99,90 pro Stück. Ab dem 02.11.2007 sollten die Zertifikate börsentäglich handelbar sein.

Nachdem die Kläger in der Folgezeit festgestellt hatten, dass der Kurs der Zertifikate gesunken war, wollten sie die Anteile am 17.07.2007 verkaufen, erhielten aber bei der Beklagten die Auskunft, dass dies erst ab dem 01.10.2007 möglich sei. Die Kläger veräußerten die Zertifikate ausweislich der Abrechnung vom 27.12.2007 (Anl. K 5) bei einem Kurs von Euro 64,86 zum Preis von Euro 22.701,-, nachdem sie die Beklagte mit Rechtsanwaltsschreiben vom 09.08.2007 (Anl. K 3) vergeblich aufgefordert hatten, der Rückabwicklung der Anlage binnen 2 Wochen zuzustimmen und weitere Gespräche erfolglos geblieben waren.

Die Kläger behaupten, dass sie die Beklagte nicht hinreichend über die Chancen und Risiken des Zertifikats aufgeklärt habe. Sie hätten gar nicht gewusst, was ein Zertifikat eigentlich sei. Die Zeugin F. habe ihm – dem Kläger zu 2) – mitgeteilt, dass keinerlei Risiko vorhanden sei, dass sich eine Rendite von 16 % im ersten Jahr, von über 35 % nach zwei Jahren und über 60 % nach vier Jahren ergeben würde und dass sie die Anlage jederzeit ohne Kursrisiko veräußern könnten. Unter welchen Bedingungen sie nur einen Teil ihres Kapitals zurückerhalten bzw. dieses vollständig verlieren würden, habe die Zeugin F. ihm – dem Kläger zu 2) – nicht erläutert.

Sie hätten von Anlagegeschäften keine besonderen Kenntnisse gehabt und der Beklagten vertraut. Die von der Beklagten als Emittentin aufgestellten „Spielregeln“ hinsichtlich der Zinszahlung und Kapitalrückzahlung seien so kompliziert, dass sie nur bei näherem Hinsehen ihren Wettcharakter offenbart hätten und aus der Beschreibung (Anl. K 1) heraus für einen normalen Verbraucher weder leicht verständlich noch in ihren wirtschaftlichen Zusammenhängen überhaupt zu durchschauen gewesen seien. Die Anl. K 1 hätten sie erst erhalten, nachdem sie die Kauforder erteilt gehabt hätten.

Ihnen sei nicht mitgeteilt worden, dass der Ausgabekurs allein von der Beklagten festgesetzt worden sei, weil das Zertifikat erst später an der Börse gehandelt worden sei. In dem von der Beklagten festgesetzten Kurs von Euro 99,90 seien Kosten dadurch versteckt worden, dass der Kurs nicht einem fairen Preis entsprach. Weder aus der Beratung noch aus der Anl. K 1 habe sich ergeben, dass mit besonders starken Kursschwankungen zu rechnen sei, wenn sich eine Underperformance des .. Euro Stoxx Selected Dividend 30 auf den Sicherheitspuffer von 40 % hinbewegte. Nicht mitgeteilt worden sei ihnen, dass in die Bewertung des .. Euro Stoxx Selected Dividend 30 die Dividendenerträge nicht eingerechnet würden, so dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür bestanden habe, dass sich der DAX 30 besser entwickle. Auch sei nicht erläutert worden, dass bei steigendem Zinsniveau, wie es seit Anfang 2006 geherrscht habe, Dividendenwerte zu Gunsten von Rentenpapieren weniger nachgefragt würden. Im Mai 2007 sei die Mehrheit der Finanzexperten von weiter steigenden Zinsen und einer positiven Kursentwicklung des DAX ausgegangen, so dass – was ihnen ebenfalls nicht mitgeteilt worden sei – alles dafür gesprochen habe, dass sich der DAX 30 in Zukunft besser als der .. Euro Stoxx Selected Dividend 30 entwickeln würde. Zum Zeitpunkt des Beratungsgesprächs sei ein Kursrückgang des Zertifikats wahrscheinlich gewesen.

Der Vortrag der Beklagten sei zu pauschal und lasse nicht erkennen, was ihnen konkret erzählt worden sei und welches Anlegerprofil überhaupt aufgestellt worden sei. Ihr Anlegerprofil sei als äußerst konservativ anzusehen. Die Beklagte habe ihre Dokumentation nicht eingereicht. Er – der Kläger zu 2) – habe auch keine Kaufabsichten hinsichtlich US-Dollar Optionsscheinen gehabt. Ab Ende 2006 habe sich ihr Sohn in den USA aufgehalten, weswegen er sich für das Kursverhältnis Euro zum Dollar interessiert habe. Er habe mit einem steigenden Dollarkurs gerechnet und sich deshalb ohne Erwerbsabsicht erkundigt, ob es Papiere gebe, die dieser Erwartung Rechnung trügen. Zudem höre er – der Kläger zu 2) – schwer und habe als gebürtiger Algerier, dessen Muttersprache arabisch sei, nach wie vor grammatikalische Probleme mit der deutschen Sprache.

Hätte die Beklagte sie über diese Umstände aufgeklärt, hätten sie das Zertifikat nicht erworben. Das hochspekulative Papier habe nicht zu ihren sicherheitsorientierten Anlagezielen als Rentner gepasst. Vom Erwerb der Anlage bis Rechtshängigkeit hätten sie mit dem eingesetzten Kapital eine Rendite von 4 % erzielen können. Die außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren von Euro 16.04,12 hätten sie an ihren Rechtsanwalt bezahlt.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte zu verurteilen,

1. an sie zur gesamten Hand Euro 12.249,61 nebst Zinsen in Höhe von 4 % p.a. vom 17.05.2007 bis zum 31.12.2007 auf Euro 34.965,00 und vom 01.01.2008 bis 06.02.2008 auf Euro 12,249,61 und ab dem 07.02.2008 in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf Euro 12.249,61 zu zahlen,

2. an sie zur gesamten Hand vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von Euro 1.604,12 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.02.2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, sie habe die Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung erfüllt, unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse, der Anlageziele und der Risikobereitschaft der Kläger eine fachkundige Bewertung und Beurteilung des streitgegenständlichen Zertifikats zu liefern. Aufgrund ihrer Gespräche mit dem für die Kläger auftretenden Kläger zu 2) habe sich für sie das Bild ergeben, dass die Kläger über ein Nettovermögen von rund Euro 100.000,- und über jahrelange Erfahrung mit Wertpapiergeschäften vor dem Hintergrund einer mittleren Risikobereitschaft und bei einem Anlagehorizont von 5 Jahren verfügt hätten. Anlageziel sei nicht die Altersvorsorge, sondern die Vermögensanlage gewesen. Aus dem persönlichen Gespräch habe sich ergeben, dass der Kläger zu 2) Erfahrungen bzw. Kenntnisse im Bereich „Aktien“ sowie „Anlagenkonzepte/Mischfonds“ gehabt habe. Der Kläger zu 2) habe sich als Kunde über diese Themen auch mit der Zeugin H. unterhalten gehabt, was inhaltlich auch der Zeugin P. bekannt gewesen sei. Zudem habe sich der Kläger zu 2) nach dem Beratungsgespräch vom 07.05.2007 nach Optionsscheinen auf US-Dollarbasis erkundigt.

Die Zeugin P. habe sich grundsätzlich bei Beratungsgesprächen erkundigt, welche Erwartung die Kunden über die Entwicklung der Märkte hätten. Dann habe sie den Kläger zu 2) auf das streitgegenständliche Zertifikat angesprochen. Die Zeugin habe bei der mündlichen Erläuterung des schriftlichen Fondsprofils die wesentlichen Merkmale des Fondsprofils mit einem Textmarker markiert und dem Kläger zu 2) die Rückzahlungsbedingungen, die Schwankungsrisiken während der Laufzeit und den Sicherheitspuffer erklärt. Die Zeugin habe ausführlich den konditionalen Kapitalschutz erläutert und dem Kläger zu 2) die denkbaren Szenarien (Erhalt des Kapitals, teilweiser oder vollständiger Verlust des Kapitals) vor Augen geführt. Dabei habe die Zeugin teilweise eigene Formulierungen und teilweise Formulierungen aus dem Fondsprofil verwandt.

Die Zeugin habe den Kläger zu 2) auf die Möglichkeit von Kursschwankungen hingewiesen und dass deshalb die maximale Laufzeit einkalkuliert werden solle. Auch habe die Zeugin entsprechend ihrer Beratungspraxis dem Kläger den grafisch dargestellten Verlauf des Zertifikats erläutert. Weiter habe die Zeugin dem Kläger zu 2) dargelegt, dass das Zertifikat die Chance einer attraktiven Rendite biete, wobei in jährlichem Abstand die Wertentwicklungsdifferenz zweier Aktienindices betrachtet werde. Auch sei erläutert worden, unter welchen Voraussetzungen am Bewertungsstichtag eine Mindestprämie gezahlt und das Zertifikat zurückgezahlt und unter welchen Voraussetzungen die Laufzeit des Zertifikats bis zu dreimal um ein Jahr verlängert werde. Die Zeugin habe dem Kläger zu 2) aufgezeigt, dass das Zertifikat sowohl bei steigenden, seitwärts tendierenden und fallenden Märkten ein positives Ergebnis erzielen könne, ihn aber gleichzeitig darüber aufgeklärt, dass Risiken wie z.B. eine Underperformance der Dividendenwerte gegenüber dem breiten Markt nicht von vornherein ausgeschlossen werden könnten.

Die Zeugin habe dem Kläger zu 2) vermittelt, dass die Produktidee des Zertifikats auf der Annahme basiere, das die in der Vergangenheit häufig zu beobachtende Outperformance dividendenorientierter Anlagen im Vergleich zu Aktieninvestments ohne Berücksichtigung von überdurchschnittlichen Dividendenrenditen auch in Zukunft zu erwarten sei. Eine relative Absicherung werde mit einem komfortablen Puffer von 40 % erreicht, welcher zumindest für eine Rückzahlung von mindestens Euro 100,-/Zertifikat bei Fälligkeit sorge und noch über dem Kaufkurs liege. Die Zeugin P. habe den Eindruck gehabt, dass der Kläger zu 2) ihre Erklärungen verstanden habe. Sprach- oder Hörprobleme habe es nicht gegeben.

Aus der Kursentwicklung ergebe sich, dass die relative negative Entwicklungstendenz zwischen dem .. Euro Stoxx Selected Dividend 30 Index und dem DAX 30 im Zeitraum zwischen dem 14.05. und 27.12.2007 nur knapp 20 % betragen und damit weit unter dem Sicherheitspuffer von 40 % für die Kapitalgarantie gelegen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet. Die Kläger haben gem. § 280 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von Euro 12.249,61 gegen die Beklagte.

1.

Da die Beklagte den Klägern – ungefragt – eine konkrete Kapitalanlage als Alternative zu ihrer bisherigen Kapitalanlage empfahl, ist zwischen den Parteien auch ohne ausdrückliche Abrede und Vereinbarung eines Entgelts ein Beratungsvertrag zustande gekommen (BGHZ 123, 126 = NJW 1993, 2433; Palandt-Heinrichs, BGB, 66. Auflage, § 280 Rdnr. 47). Dieser Vertrag ist als Dienstvertrag mit Geschäftsbesorgungscharakter zu qualifizieren (vgl. Palandt-Sprau § 675 Rdnr. 30).

2.

Die Beklagte hat die ihr gegenüber den Klägern obliegenden Beratungspflichten schuldhaft verletzt.

a) Der Berater hat den Kunden über alle für die Anlageentscheidung wesentlichen Umstände zu informieren und die erteilten Informationen fachgerecht zu beurteilen und zu bewerten (Palandt-Heinrichs, § 280 Rdnr. 47). Er schuldet eine anlegergerechte und objektgerechte Beratung (vgl. BGHZ 123, 126). Anlegergerecht ist die Beratung, wenn der Berater das Anlageziel des Kunden und sein einschlägiges Fachwissen abklärt (BGH a.a.O.; Palandt-Heinrichs, § 280 Rdnr. 48). Zu einer objektgerechten Beratung muss der Berater über alle Umstände und Risiken, die für die Anlageentscheidung Bedeutung haben, richtig und vollständig informieren, was in gleicher Weise für allgemeine und besondere Risiken des Anlageobjekts gilt (Palandt-Heinrichs a.a.O.). Dabei ist es zwar in aller Regel ausreichend, wenn der Berater dem Kunden den vollständigen und richtigen Prospekt aushändigt (OLG Stuttgart NJOZ 2006, 2098; Palandt-Heinrichs, § 280 Rdnr. 49). Ein vorhandener Emissionsprospekt ist dem Anleger mit der Möglichkeit zu übergeben, dessen Inhalt in Ruhe zur Kenntnis zu nehmen, die Informationen zu prüfen und dann seine Entscheidung zu treffen (OLG Hamm, OLGR 2003, 238 – juris Tz. 30 ).

b) Die Beklagte hat im Wege ihrer sekundären Darlegungslast nicht hinreichend dargetan, dass sie die Kläger im Rahmen des am 07.05.2007 zwischen der Zeugin P. (früher F) und dem Kläger zu 2) geführten Beratungsgespräch ausreichend anleger- und anlagegerecht beraten hat.

Der Anleger trägt zwar die Darlegungs- und Beweislast für die Aufklärungs- und Beratungspflichtverletzung durch die Bank (BGHZ 166, 56 = NJW 2006, 1429; Palandt-Heinrichs, § 280 Rdnr. 26). Allerdings muss die Bank die behauptete Fehlberatung substantiiert bestreiten und darlegen, wie im Einzelnen aufgeklärt und beraten worden sein soll (BGH a.a.O.).

Der Vortrag der Beklagten dazu, wie sie die Anlageziele und das Fachwissen der Kläger vor dem Hintergrund der bestehenden Anlage (Anteile am dit-Geldmarktfonds) erfragt hat und wie sie den Kläger zu 2) im Einzelnen über das Funktionieren der Zertifikate sowie deren Chancen und Risiken beraten hat, ist nicht ausreichend substantiiert. Das Gericht hat die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 17.10.2008 (Bl. 60 d.A.) deutlich darauf hingewiesen, dass sie genauer und nicht lediglich pauschal und in allgemeinen Ausführungen dazu vortragen müsse, dass sie dem Kläger insbesondere die Gefahr eines teilweise oder sogar totalen Verlustes seines Kapitals deutlich vor Augen gestellt habe, und zudem anschaulich machen müsse, wie denn dem Kläger das Funktionieren des Zertifikats sowie die Voraussetzungen für bestimmte Zinszahlungen erklärt worden seien. Diesen Voraussetzungen wird der Vortrag der Beklagten im nachgelassenen Schriftsatz vom 28.11.2008 nicht gerecht.

aa) Hinsichtlich der anlegergerechten Beratung ergibt sich aus dem Vortrag der Beklagten nicht, warum das streitgegenständliche Zertifikat zu der dargelegten „mittleren Risikobereitschaft“ des Anlegerprofils der Kläger passen soll. Selbst wenn die Kläger nach dem Vortrag der Beklagten über „Erfahrungen bzw. Kenntnisse“ in den Bereichen „Aktien“ sowie „Anlagekonzepte/Mischfonds“ verfügten, so handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Zertifikat um eine völlig andere Anlageform als bei dem Erwerb von Aktien oder dem Erwerb von Anteilen an Aktienfonds.

Denn zur Abschätzung des Anlagerisikos bedarf es bei dem streitgegenständlichen Zertifikat vertiefter Kenntnisse über die im Index .. Euro Stoxx Selected Dividend 30 notierten europäischen Dividendenwerte. Im Gegensatz zu dem Erwerb von „Einzelwertaktien“ kommt es bei dem Zertifikat gerade nicht auf die allgemeine zukünftige Entwicklung des Aktienmarktes bzw. des DAX 30 an, sondern gerade auf das Verhältnis der Kursentwicklung von den im DAX 30 und den im .. Euro Stoxx Selected Dividend 30 notierten Werten. Der Möglichkeit, durch das Zertifikat eine Rendite auch bei sinkenden oder seitwärts tendierenden Märkten zu erlagen, steht die Gefahr gegenüber, sein Kapital selbst bei steigenden Märkten ganz oder teilweise zu verlieren, wenn sich der .. Euro Stoxx Selected Dividend 30 gegenüber dem Dax 30 negativ und außerhalb der Sicherheitspuffers entwickelt. Von daher bedarf es hier anderer und umfassenderer Kenntnisse des Anlegers über die Märkte als bei dem Erwerb von Anteilen am dit-Geldmarktfonds oder dem Erwerb einzelner Aktienwerte.

Auch erwirbt der Anleger mit dem Zertifikat anders als bei dem Erwerb von Aktien keine Beteiligung an einem Unternehmen oder einem Aktienfonds. Vielmehr handelt es sich um ein reines Spekulationspapier mit Wettcharakter. Vom Risiko und der Anlageform her ist die Beteiligung am dit-Geldmarktfonds, in dem die Kläger bis dahin ihr Vermögen angelegt hatten, mit dem streitgegenständlichen Zertifikat und seinem erheblich spekulativeren Inhalt nicht in Einklang zu bringen.

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sich der Kläger zu 2) bei der Beklagten im Mai 2007 nach bestimmten Optionsscheinen auf US-Dollarbasis erkundigt hat. Allein aus diesem unverbindlichen Interesse folgt noch keine vertiefte Kenntnis des Klägers zu 2) über die Aktienmärkte. Ein neues Anlegerprofil der Kläger hat die Beklagte nicht erstellt. Ihre Dokumentation des Anlegerprofils der Kläger hat sie nicht zur Akte gereicht.

bb) Auch bezüglich der anlagegerechten Beratung vermisst das Gericht konkreten Vortrag der Beklagten, was die Zeugin P. dem Kläger zu 2) zu den von der Beklagten genannten Punkten eigentlich konkret erläutert hat.

Welche Antwort der Kläger zu 2) der Zeugin auf deren angebliche Einstiegsfrage, welche Erwartungen er in die Entwicklung der Märkte habe, gegeben hat, trägt die Beklagte nicht vor. Es erschließt sich auch nicht ohne weiteres, warum die Antwort des Klägers zu 2) oder welche eigene Einschätzung des Marktes die Zeugin veranlasst hat, dem Kläger zu 2) das streitgegenständliche Zertifikat zu empfehlen.

Soweit die Beklagte behauptet, die Zeugin P. habe „die wesentlichen Merkmale des Zertifikates in dem Fondsprofil mit einem Textmarker markiert“, so lässt sich aus der als Anl. K 1 eingereichten Kopie lediglich erkennen, dass im ersten Absatz die Mindestprämie von 16,75 % markiert worden ist. Weitere Markierungen vermag das Gericht nicht zu erkennen, so dass unklar bleibt, welche Punkte aus dem Fondsprofil die Zeugin P. für wesentlich hielt. Der weitere Vortrag der Beklagten, die Zeugin habe dem Kläger zu 2) u.a. die Rückzahlungsbedingungen, die Schwankungsrisiken während der Laufzeit und den Sicherheitspuffer erklärt, lässt entgegen dem gerichtlichen Hinweis nicht erkennen, was und auf welche Weise die Zeugin dem Kläger zu 2) konkret dazu erklärt hat. Zwar verkennt das Gericht nicht, dass die Beklagte ihren Vortrag im nachgelassenen Schriftsatz dahingehend spezifiziert hat, dass die von ihr aufgeführten Themenbereiche (z.B. der Sicherheitspuffer) angesprochen bzw. vertieft wurden. Allerdings ist dem Vortrag nicht zu entnehmen, wie die Zeugin dem Kläger zu 2) beispielsweise ganz praktisch die denkbaren Szenarien für einen vollständigen Schutz des Kapitals bzw. einen Verlust oder eine Verringerung des Kapitals vor Augen geführt hat. Was die Zeugin P. dem Kläger zu dem auf S. 2 des Profils dargestellten Grafik zum Verlauf des Zertifikats erklärt haben will, trägt die Beklagte nicht vor.

Entsprechendes gilt für die behauptete Erläuterung der Voraussetzungen für die Auszahlung der Mindestprämie und der vorzeitigen Rückzahlung des Zertifikats am Bewertungsstichtag bzw. die bis zu dreimal mögliche Verlängerung der Laufzeit um jeweils ein Jahr. Auch hier ist unklar, wie die Zeugin P. dem Kläger zu 2) dies für ihn anschaulich und verständlich erläutert hat. Der Kläger zu 2) hat vorgetragen, dass er nach dem Beratungsgespräch zuhause das Fondsprofil gelesen, dieses aber nicht verstanden habe. Angesichts dessen hätte die Beklagte dem Gericht – auch vor dem Hintergrund des Eindrucks, den sich das Gericht vom Beklagten zu 2) im Termin zur mündlichen Verhandlung gemacht hat – in anschaulicher Weise deutlich machen müssen, wie sie dem Kläger, der sich Rentenalter befindet und dessen Muttersprache nicht deutsch ist, das Funktionieren des Zertifikats konkret und für ihn verständlich erklärt hat. Soweit die Beklagte vorträgt, die Zeugin habe den Eindruck gehabt, der Kläger zu 2) habe ihre Ausführungen verstanden, so wird nicht dargelegt, auf welche Tatsachen sich diese Einschätzung stützte und ob dem Kläger zu 2) überhaupt die Gelegenheit gegeben wurde, Fragen zu stellen.

Schließlich ist auch nicht nachvollziehbar, auf der Basis welcher Fakten die Zeugin P. dem Kläger zu 2) die Annahme mitgeteilt hat, dass „die in der Vergangenheit häufig zu beobachtende Outperformance dividendenorientierter Anlagen im Vergleich zu Aktieninvestments ohne Berücksichtigung von überdurchschnittlichen Dividendenrenditen auch in Zukunft zu erwarten sei“. Denn immerhin basiert das Zertifikat auf dieser Idee bzw. dieser Annahme und die Anlageentscheidung hängt wesentlich von dieser Einschätzung ab. Zudem fehlt jeder Vortrag der Beklagten dazu, was die Zeugin P. dem Kläger zu 2) dazu mitgeteilt hat, aufgrund welcher Umstände auch in der Zukunft mit einer Outperformance dividendenorientierter Anlagen zu rechnen sei.

c) Das Verschulden der Beklagten wird vermutet (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Entlastende Umstände sind nicht dargetan.

3.

Den Klägern ist durch den Verlust bei der Veräußerung der Zertifikate ein Schaden von Euro 12.249,61 entstanden, da sie die Zertifikate am 17.05.2007 für Euro 34.965,- erworben haben (Anl. K 2) und am 27.12.2007 für Euro 22.701,- (Anl. K 5) abzüglich Euro 12,- Maklercourtage und Euro 2,39 Transaktionskosten veräußert haben.

Darüber hinaus ist den Klägern ein weiterer Schaden dadurch entstanden, dass sie das eingesetzte Kapital bis Klagerhebung nicht anderweitig anlegen konnten. Das Gericht schätzt den Zinsschaden der Kläger gem. § 287 ZPO auf 4 % p.a. Für den Zeitraum ab Ende August 2007 ergibt sich die Berechtigung des geltend gemachten Zinssatzes schon daraus, dass sich die Beklagte ab dem Ablauf der im anwaltlichen Mahnschreiben vom 09.08.2007 (Anl. K 3) für die Rückabwicklung der Anlage gesetzten Frist von 2 Wochen im Verzug befand und die Kläger ab diesem Zeitpunkt Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hätten verlangen können (§ 288 Abs. 1 S. 2 BGB).

4.

Die Pflichtverletzung der Beklagten war auch kausal für den Schaden der Kläger, da sich die Kläger sich auf die sog. Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens berufen können (vgl. BGHZ 124, 151 = NJW 1994, 512; Palandt-Heinrichs, § 280 Rdnr. 39, 50). Umstände, die diesen Anscheinsbeweis zu Gunsten der Kläger widerlegen, hat der Beklagte nicht dargetan.

5.

Der Schadensersatzanspruch ist nicht aufgrund eines Mitverschuldens der Kläger (§ 254 BGB) bei der Schadensentstehung zu mindern. Die Kläger haben ihre Obliegenheiten nicht verletzt, indem sie den Anlagevertrag nicht kurzfristig nach der Kauforder gekündigt haben, nachdem sie im Anschluss an das Beratungsgespräch vom 07.05.2007 die schriftlichen Unterlagen des Zertifikats (Anl. K 1) zuhause prüfen konnten. Dass die Kläger kostenneutral Abstand von der Anlage hätten nehmen können, ist nicht ersichtlich. Zudem bestand zu den Mitarbeitern in der betroffenen Filiale der Beklagten in L………. aufgrund des jahrelangen guten Kundenkontakts ein erhöhtes Vertrauen der Kläger. Dass diese sich zunächst darauf verließen, richtig und zu ihrem Vorteil beraten worden zu sein, kann ihnen nicht zum Nachteil gereichen.

6.

Der Zinsanspruch ergibt sich ab Rechtshängigkeit aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

7.

Dagegen haben die Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von Euro 1.604,12 gegen die Beklagte. Die Kläger haben nicht dargetan, dass sich die Beklagte zum Zeitpunkt des anwaltlichen Mahnschreibens vom 09.08.2007 (Anl. K 3) bereits im Verzug mit der Rückabwicklung der Anlage befand.

8.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist § 709 S. 1 und 2 ZPO zu entnehmen.

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